verfasst von Stephan Faseth MSc
Was ist Beweglichkeit?
Lange Zeit war für mich das Thema „Beweglichkeit verbessern“ einfach zusammengefasst unter dem Begriff „Dehnen“. Bereits als Kind beim Fußballtraining sah ich aber darin keinen Sinn. Auch später in der Jugend nahm ich die Thematik nicht ernst. Abgesehen von einer kurzen Phase als ca. 10-Jähriger, als ich einen Männerspagat erlernen wollte und auch innerhalb weniger Wochen erreichte, habe ich nie außerhalb der Schule oder dem Fußballverein gedehnt.
Bei den ersten Ausbildungen im Bereich der Fitness bestätigen die Vortragenden auch noch in gewisser Weise meine Perspektive: Für das Training an sich bietet das klassische Dehnen keinen Nutzen und die passive Dehnbarkeit nutzt ebenso wenig.
Erst später durch die wiederkehrende Knieentzündung begriff ich die Wichtigkeit von Beweglichkeit und begann mich dem Thema von einer anderen Seite zu nähern und vor allem zu öffnen. Seither unterscheide ich auch sehr genau zwischen den Begriffen Flexibilität, Beweglichkeit und Mobilität. Lies in diesem Blogbeitrag über mein persönliches Verständnis dieser Begriffe und wie du wirklich deine Beweglichkeit verbessern kannst.
Flexibilität
Darunter verstehe ich die Dehnbarkeit der Muskeln und in einem begrenzten Ausmaß der Sehnen, die als Verbindung der Muskeln zu den Knochen mitbestimmen, wie sehr die Ersteren gedehnt werden können. Für die meisten Menschen ist die Reduktion der Flexibilität ein natürlicher Teil des Alterungsprozesses, wie etwa das verminderte Unterhautfettgewebe. Darauf werde ich bei Mobilität noch eingehen.
Neben den gewohnheitsmäßigen Bewegungsradien der Gelenke und damit der physiologischen Dehnung der Muskeln bestimmt auch das Nervensystem, wie dehnbar ein Muskel ist. Hierbei geht es bei der Flexibilität um den Schutz eines Gelenks in den Endpositionen. Ein unerwartet stark gedehnter Muskel spannt sich unwillkürlich an, damit das beteiligte Gelenk unverletzt bleibt. Das unterstützen Sensoren in den Sehnen und dieses Zusammenwirken zeigt sich gut anhand des Muskelreflextests der Patellasehne. Das klassische Dehnen verändert vor allem diese Steuerungsmechanismen, wodurch du in der Lage bist starke Dehnungsreize zu tolerieren. Eine erhöhte Funktionalität geht damit aber noch nicht zwangsläufig einher.
Mobilität
Vermutlich hat jeder schon einmal gehört: „Vor dem Sport ist mobilisieren wichtig.“ Dabei bewegt man die Gelenke sanft, wodurch die Gelenksflüssigkeit diese besser „schmiert“. Gelenke sind aber eine komplexere Verbindung zweier Knochen als bloß eine Blase mit einer Flüssigkeit. Viele Gelenke werden neben den beteiligten Muskeln und damit Sehnen auch durch Bänder stabilisiert. Diese passiven Haltebänder, wie auch der Zustand der Gelenkskapsel und -knorpel, stellen für mich die limitierenden Faktoren der Mobilität dar. Eine Vielzahl solcher Sehnen-ähnlicher Strukturen stabilisieren das Kugelgelenk der Hüfte. Durch Abnützungen der passiven Strukturen kommt es oft zu Einschränkungen in der Mobilität. Besonders die Schultern, die Hüften und Kniegelenke sind bei älteren Personen davon betroffen. Diese bereits stark fortgeschrittenen Einschränkungen zeigen sich daran, dass die Gelenke bei einer passiven Bewegung der Extremitäten durch eine andere Person schmerzen.
Beweglichkeit
Flexibilität und Mobilität sind zwar auch Voraussetzung für wahre Beweglichkeit, doch das entscheidende an Letzterer ist der aktive Bewegungsradius. Dafür benötigt es funktionelle Kraft nahe den Endpositionen der Gelenke. Ein einfaches Beispiel, welches du sofort ausprobieren kannst – du benötigst dafür nur ein Handtuch:
Setz dich auf den Boden, bilde mit dem Handtuch eine Schlaufe und lege es um einen Fuß. Die Enden des Handtuchs nimmst du in eine Hand. Leg dich nun flach auf den Rücken und strecke deine Beine aktiv durch. Ziehe jetzt den Fuß mit dem Handtuch in einer gestreckten Haltung zu deinem Oberkörper. Vielleicht schaffst du es bis über die Hüfte oder sogar noch weiter über die Brust. Achte dabei darauf, dass sowohl die Lendenwirbel als auch das zweite Bein am Boden bleiben. Wiederhole das Ganze ohne Hilfe durch das Handtuch, sondern aus reiner Muskelkraft. Vermutlich sind mehr als 20 Zentimeter Unterschied. Diese Differenz ist in meinen Augen ein Beweglichkeitsdefizit. Es kommt durch die fehlende Flexibilität der Muskulatur der Beinrückseite und des Gesäßmuskels bei gleichzeitig fehlender funktioneller Kraft der Hüftbeuger und Beinstrecker zustande.
Wann solltest du deine Beweglichkeit verbessern
Diese Frage gilt es grundsätzlich immer sehr individuell zu beantworten. Im Allgemeinen hängt das von den täglichen Anforderungen an die Beweglichkeit ab und welche Ziele du verfolgst. Also die Form folgt der Funktion. Doch das sehe ich als zu kurz gedacht bei einem dynamischen System wie dem Menschen. Denn hier gilt die Weisheit der Architektur ebenso umgekehrt. Das bedeutet: Der Körper passt sich den Anforderungen an. Diese bestehen aber meist ab der frühen Kindheit in einer ausdauernden Sitzhaltung. So verlieren viele Bereiche wie etwa das Hüftgelenk über die Jahre stark an Beweglichkeit. Gehörst auch du zu den Vielsetzern und betreibst nicht seit der Jugend Sportarten wie Yoga oder Gymnastik, dann stehen die Chancen gut, dass du deine Beweglichkeit verbessern solltest.
Im Kontext mit dem Krafttraining habe ich eine klare Meinung: Wenn du eine Kniebeuge ohne Gewicht machst und diese sich nicht frei und leicht anfühlt bzw. du sagst, dass sie sich erst mit dem Arbeitsgewicht richtig anfühlt, dann solltest du deine Beweglichkeit verbessern. Warum? Erst das Zusatzgewicht drückt dich in die „richtige Position“, aber deine aktive Beweglichkeit (ohne Zusatzgewicht) reicht hierfür nicht aus. Du zwingst also deinem Körper eine Haltung auf, die er so nicht einnehmen kann. Ein Vergleich, der die Absurdität der Squat-Herangehensweise vieler Kraftsportler verdeutlicht. Ohne zusätzliches Gewicht ist ein hypothetischer Sportler auf Grund eines verkürzten Latissimus nicht fähig bei Klimmzügen seine Arme in eine gestreckte Position zu bringen. Niemand würde auf die Idee kommen nun diese Übung mit Zusatzgewicht zu machen, nur um in eine Hangposition mit durchgestreckten Ellbogen zu kommen.
Beweglichkeit verbessern – aber wie?
Durch Dehnen die Beweglichkeit verbessern
Wie eingangs bereits erwähnt. Für das Krafttraining bietet das klassische Dehnen keinen direkten Nutzen, wenn es nach der Trainingseinheit stattfindet. Im Gegenteil fördert es eher kleine Muskelverletzungen, die zu einem Muskelkater führen (dazu hier mehr im Blogbeitrag „Muskelkater“). Deshalb finden bei uns im Garage Gym auch keine Cooldowns mit Dehnübungen statt. Deine Beweglichkeit verbessern kannst du allerdings dennoch mit unseren Garage Gym Stretch & Mobility-Einheiten (siehe Kurskalender). In diesen Stunden mit maximal 8 Teilnehmern arbeiten wir gezielt an den Bereichen, die beispielsweise durch langes Sitzen vorm Computer verspannt und verkürzt sind. Aber genauso dehnen wir gezielt Muskeln, die deine Ausführungsqualität von Übungen wie Squat, Deadlift etc einschränken.
Im Krafttraining die Beweglichkeit verbessern
Direkt in den Cross & Burn-Einheiten, also den Krafttrainings achten wir TrainerInnen darauf, dass wir kurzfristig deine Beweglichkeit verbessern. Das schaffen wir, indem wir ein gezieltes Aufwärmen betreiben. Die Gelenke mobilisieren ist hiervon nur ein Teil. Durch Aktivierung der richtigen Muskelpartien, sowie leichtes dehnen der Gegenspieler erreicht jeder zeitweilige Verbesserungen beispielsweise der Hüftbeweglichkeit. Dadurch ist wiederum die Kniebeuge spürbar anders und meist deutlich „korrekter“.
Durch Krafttraining die Beweglichkeit verbessern
Doch auch bestimmte Übungen im Krafttraining nutzen wir im Garage Gym, um dich beweglicher zu machen. Hierfür sind Variationen des konventionellen Deadlifts besonders geeignet. Dazu zähle ich das rumänische Kreuzheben oder Deadlifts in einer erhöhten Standposition (engl. Deficit Deadlifts). Doch es gibt auch Übungen für den Oberkörper, die von Nutzen sind zur Verbesserung der Beweglichkeit. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Schulterbereich. Beispielsweise bei an der Stange hängenden Bauchmuskel-Übungen wie Knee Raises (dazu am Ende mehr). Selbst das Bankdrücken mit Kurzhanteln ist für diesen Zweck nützlich. Bei allen diesen Kräftigungsübungen entscheidend ist, dass du nicht mit dem gleichen Arbeitsgewicht trainierst, wie bei den Grundübungen. Dadurch schaffst du es die Bewegung kontrollierter auszuführen und dabei auch noch näher an die Endposition der Gelenke zu kommen. Somit lernt dein Nervensystem schrittweise diese Bewegungsbereich besser zu stabilisieren. Betreibst du das kontinuierlich, wird sich deine Beweglichkeit verbessern.
Im Alltag die Beweglichkeit verbessern
In anderen Kulturen und vor allem in ursprünglicheren Völkern finden noch heute gesellschaftliches Leben und teilweise die Arbeit am Boden statt. Beobachtet man Kinder beim Spielen scheint es das natürlichste der Welt minutenlang in der tiefen Hocke zu verbringen oder in einer Sitzposition auf den eigenen Fersen. Um deine Gelenke zu mobilisieren und den Muskel- und Sehnenapparat beweglich zu halten, aber auch beispielsweise deine Wirbelsäule zu entlasten, solltest auch du so viel Zeit wie möglich am Boden verbringen. Dazu eignen sich die folgenden Positionen:
Kniesitz (Seiza oder japanischer Sitz)
Seiza ist japanisch und bedeutet „korrektes Sitzen“. In Filmen aus dem Land der aufgehenden Sonne sieht man diese Position daher häufig. Sie hilft Beweglichkeit im Knie zu schaffen und ermöglicht einfach das senkrechte Ausrichten der Wirbelsäule. Um dich an diese Position zu gewöhnen, platziere Polster zwischen dem Gesäß und den Fersen. So kannst du schrittweise deine Kniebeweglichkeit verbessern.
Als Variante empfehlen wir dir den Zehensitz. Hier stellst du deine Füße auf und deine Zehen zeigen in deine Blickrichtung. Diese Sitzposition eignet sich besonders als Ausgleich zum Tragen von engen Schuhen. Der Fuß ist, wie die Hand aus vielen Knochen aufgebaut und daher sind viele Bewegungsmöglichkeiten vorhanden, aber durch die ständig eingeschnürte Position in Schuhen gehen diese verloren. Diese Sitzhaltung dehnt diese Einschränkungen auf und in Abwechslung mit dem Fersensitz erhöhst du deine Fußbeweglichkeit bereits in zwei Richtungen.
Schneidersitz (Sukhasana)
Etwas westlicher findet sich die Hauptverbreitung dieser Sitzposition. Das Wort stammt aus dem Sanskrit und setzt sich aus sukha für „angenehm“ und asana für Haltung oder Pose zusammen. Die gekreuzte Position der Beine mobilisiert die Hüften und hilft die verkürzte Muskulatur der Beinrückseite freier zu machen. Darüber hinaus vertieft sich in dieser Haltung die Atmung und das wirkt beruhigend auf das Nervensystem. Deshalb eignet sich diese Variante des Sitzens auch besonders für Meditationen. Erhöhe die Sitzposition des Gesäßes so weit durch Kissen oder einen Yoga-Block, bis du deine Lendenwirbelsäule mit Leichtigkeit senkrecht halten kannst.
90-90 Sitz
Der Name erklärt die Kernpunkte dieser Sitzposition. Achte auf einen 90 Grad Winkel zwischen deinen Oberschenkeln, aber auch zwischen Ober- und Unterschenkeln. Verbringst du in dieser Position viel Zeit am Boden verbesserst du die Innen- und Außenrotation im Hüftgelenk. Wechsle regelmäßig die Seiten und achte auf die Stabilisierung deiner Wirbelsäule in einer senkrechten Position. Auch hier helfen dir Kissen und Polster zur Erhöhung deines Gesäßes das korrekte Einhalten einer aufrechten Wirbelsäule. Um den Effekt auf die Beweglichkeit zu vergrößern, hebe die Ferse des hinteren Beines immer wieder für mehrere Sekunden hoch.
Warten und Beweglichkeit verbessern
Wer viel unterwegs ist, der wartet auch oft. Egal, ob auf die öffentlichen Verkehrsmittel oder auf ein Flugzeug oder einfach auf eine Freundin bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch. Diese Zeit lässt sich wunderbar Nutzen, um an deiner Squat-Technik zu arbeiten. Im Idealfall bist du schon durch Gehen etwas aufgewärmt. Nun verbringst du einfach ein paar Minuten in der tiefen Hocke. Beginne mit einer breiteren Standposition und drücke mit den Ellbogen die Knie nach außen. Fußspitzen und Knie zeigen in die gleiche Richtung. Je aufrechter dein Oberkörper bleibt, desto besser. Setze dich zwischen deine Fersen hinein. Etablierst du das als neue Warteposition, verbessert sich dein Squat innerhalb kürzester Zeit.
Abhängen und die Beweglichkeit verbessern
Neben den oben vorgestellten Sitzpositionen gibt es noch einen guten Weg, wie du in der Freizeit deine Beweglichkeit verbessern kannst. Diesmal profitiert dein Schulterbereich. Schaffe dir die Möglichkeit dich mit deinen Händen festhaltend irgendwo hängen zu lassen. Eine Klimmzugstange in einer häufig durchschrittenen Tür ist der beste Ort. Mehrmals täglich greifst du die Stange und hängst einfach ab. Du hast sogar einen 3-fachen Nutzen hiervon:
- Deine Schulterbeweglichkeit verbessert sich
- Du steigerst deine Griffkraft
- Du entlastest deine Wirbelsäule
Besonders der letzten Punkt ist bei Vielsitzern ein enormer Mehrwert vom Hängen. Spüre wie du die Fersen in Richtung Boden streckst, um den Effekt zu vergrößern. Wechsle bei jedem Abhängen zwischen aktivem Hängen und Durchhängen in den Schultern. Bei letzterem versuchst du so locker wie nur möglich im Schulterbereich zu sein. Hingegen beim aktiven Hang ziehst du die Schulterblätter zu deinen hinteren Hosentaschen hinunter. Dabei bleiben deine Arme und dein Oberkörper in einer senkrechten Linie. Solange die Schulterbeweglichkeit eingeschränkt ist, weicht beim aktiven Hang der Oberkörper oft nach hinten aus. Das passiert jedoch auch, wenn du die falschen Muskeln benutzt. Ziel ist es aus den kleineren Muskelpartien zwischen deinen Schulterblättern den Oberkörper bei gestreckten Armen hochzuziehen und nicht den großen Rückenmuskel (Latissimus dorsi) zu verwenden.
Fazit
Beweglichkeit verbessern hat oftmals kurzfristige Vorteile. Für ambitionierte Kraftsportler im Garage Gym beispielsweise steht die bessere Durchführung von bestimmten Übungen im Fokus. Bessere Technik durch bessere Beweglichkeit ergibt schnelle Verbesserungen der Kraftwerte. Wer in bestimmten Bereichen beweglicher ist, leidet auch weniger an Muskelkater. Der langfristige Nutzen besserer Beweglichkeit ist für viele noch weit interessanter. Es reduziert sich die Verletzungswahrscheinlichkeit im Training. Der wichtigste jedoch ist vermutlich, dass du bis ins hohe Alter mobil und agil bleibst. Um mehr Informationen zum Thema zu erhalten, folge den Social Media Profil des Garage Gyms auf Facebook und Instagram. Vereinbare hier ein kostenloses Porbetraining und vielleicht darf ich dich persönlich durch dein erstes Garage Gym-Training führen.